Lindenstraße EXKLUSIV: Marcel Schenk interviewt Georg Uecker

Georg Uecker als „Dr. Carsten Flöter" in der ARD-Serie "Lindenstraße"
© WDR / Steven Mahner

Moderator Marcel Schenk trifft regelmäßig Schauspieler/innen vom Ensemble der ARD-Kultserie „Lindenstraße“ zum Gespräch. Und hier kann alles nachgelesen werden.

Folge 13: Georg Uecker als „Dr. Carsten Flöter“

Marcel Schenk: Hallo Georg, ich freue mich, dich aktuell wieder mit einer emotionalen Geschichte in der „Lindenstraße“ zu sehen!

Georg Uecker: Hallo Marcel. Ja, ich bin wieder da.

Marcel Schenk: Du bist ein Urgestein der Serie. Wie fühlt sich das für dich an?

Georg Uecker: (lacht) Naja, sagen wir mal so: Man sieht sich selbst ja nicht von außen. Für mich ist jeder Tag, jeder Drehtag, neu. Man stellt natürlich fest, dass man älter geworden ist. Ich habe sehr jung hier angefangen zu drehen, war zwischenzeitlich immer auch mal wieder weg, um in anderen Produktionen zu arbeiten. Dadurch ist die Arbeit an der Rolle „Dr. Carsten Flöter“ für mich nie zu einer Tretmühle geworden, sondern immer wieder aufs Neue spannend. Die Bezeichnung Urgestein kann ich verstehen, möchte sie für mich selbst aber nicht anwenden. Ein Urgestein ist ein Fossil und macht nichts mehr, hat es hinter sich.

Marcel Schenk: Also kann ich daraus deuten, dass du noch immer sehr viel Spaß an deiner Rolle hast?

Georg Uecker: Auf jeden Fall. Wenn es nicht mehr so wäre, müsste ich als Fossil wohl ins Museum. Dort kann ich als Urgestein dann ausgestellt werden.

Marcel Schenk: Du hast ja immer wieder bewusst Pausen von deinem Serienego genommen. Vielleicht ist das auch ein Grund deines steten Erfolges?

Georg Uecker: Ich habe immer relativ spontane und kurzfristige Verträge gemacht, auch um mir Freiheiten für andere Produktionen nehmen zu können. Das war für viele anfangs etwas erstaunlich, denn viele Schauspieler sind natürlich sehr dankbar für dauerhafte Engagements. Jenseits aller materiellen Überlegungen und finanziellen Zwänge stand für mich aber immer die Lust an der Rollengestaltung im Vordergrund. Und natürlich umgekehrt auch die Lust der Drehbuchautoren auf meine Arbeit. Ich wollte immer, dass beide Seiten loslassen können. Aber das Feuer brennt noch. Ich bin da.


 
Ludwig Haas und Georg Uecker, © GFF/WDR

Marcel Schenk: Kannst du dich nach all‘ den Jahren gut und nicht allzu selbstkritisch auf dem Bildschirm anschauen?

Georg Uecker: Jein. Ich habe mich daran gewöhnt. Ich komme ursprünglich vom Theater und dort sieht man sich ja nie selbst. Dort arbeitet man für den Moment. Keine Vorstellung gleicht der anderen, letztendlich entsteht und vergeht jede einzelne an einem Abend. Hier bei der „Lindenstraße“ bin ich, ebenso wie meine Kollegen, immer auf drei unterschiedlichen Zeitebenen unterwegs: Die neuen Bücher, die ich gerade lese und die ich frühestens in 3 Monaten drehe, werden voraussichtlich in einem halben Jahr auf dem Bildschirm zu sehen sein. Dann die Szenen, die ich jetzt aktuell drehe und die dann in ein paar Monaten zu sehen sein werden – und letztlich die Szenen, die aktuell im TV laufen und die ich vor einem Vierteljahr gedreht habe. Diese drei Zeitebenen muss man sich immer vor Augen halten. Bei der Ausstrahlung selber habe ich oft eher ambivalente Gefühle. Ich bin nicht allzu kritisch, aber ich sehe mir die Folgen nach Möglichkeit doch lieber alleine an.

Marcel Schenk: Warum genau?

Georg Uecker: Man kann den Eindruck nochmal selbst korrigieren, den man von einer Szene im Kopf hatte. Da vertut man sich oftmals. Es gibt Szenen, an die denke ich zurück mit dem Gefühl: „Das war super!“ Und dann schaue ich es mir im Fernsehen an und denke: „Na, geht so.“ Und dann gibt es das genaue Gegenteil und eine Szene überrascht mich so ungeahnt positiv. Ich bin nicht unbedingt mein bester Zuschauer.

Marcel Schenk: Die Optik in der „Lindenstraße“ hat sich stark verändert in den letzten Jahren.

Georg Uecker: Wir werden immer filmischer. Die Kameras sind hochauflösend. Das hat alles natürlich einen großen Einfluss auf die Arbeit als Schauspieler.

Marcel Schenk: Du fühlst dich nicht nur in der „Lindenstraße“ wohl, sondern warst auch lange Zeit ein Teil der „Schillerstraße“. Wie sind deine Erinnerungen an dieses Comedyformat, speziell jetzt, da viele Shows der 90er Jahre ein Comeback erleben?

Georg Uecker: Es sind wunderbare Erinnerungen an dieses Experiment, eine völlig neuartige Sendung auf den Bildschirm zu bringen. Ich kannte viele der Comedians schon vorher von der Bühne. Es war von Anfang an eine tolle Atmosphäre, sowohl im Team, als auch mit dem Livepublikum im Studio. Wir hatten wirklich wahnsinniges Glück. Es gab tolle Einschaltquoten und lobende Kritiken in der Fachpresse. Wir haben so ziemlich alle Fernsehpreise abgeräumt, die es gibt. Inzwischen sind meine Schränke voll mit all‘ den Auszeichnungen. Fernsehpreise machen eigentlich überhaupt keinen Sinn, es sei denn, man gewinnt sie selber.

Marcel Schenk: Wenn jetzt dein Telefon klingeln würde und man dir eine Fortsetzung der „Schillerstraße“ anböte, wie wäre deine Reaktion?

Georg Uecker: Hm, das müsste ich in der Situation entscheiden. Ich finde es oft schwierig, Dinge wiederzubeleben, die mal einen gewissen Erfolg hatten. Mit zeitlichem Abstand ist ja alles immer entweder viel schlimmer oder viel besser als heute. Ich könnte jetzt nicht definitiv sagen, wie meine Antwort auf die Frage wäre.

Georg Uecker und Martin Armknecht, © GFF/WDR

Marcel Schenk: Was trifft aktuell denn dein Humorzentrum?

Georg Uecker: Ich lache über ganz viele Dinge im Leben. Ich trenne nicht so sehr zwischen „On“ und „Off“. Also Realität und Beruf. Ich sauge wie ein Schwamm viel auf im Alltag und erfreue mich daran. Die anarchische englische Comedy finde ich sehr lustig. Ich bin kein Freund des Mainstream-Humors, es gibt genug davon. Es muss politisch interessant, neu und frech sein. Ich finde dies sehr häufig eben in England, aber wir haben in Deutschland sehr gute Frauen in der Comedyszene, über die ich lachen kann. Und die „heute Show“ ist für mich ein absolutes Muss.

Marcel Schenk: Ich warte ja noch auf die deutsche Version von Dame Edna mit Hella von Sinnen und dir…

Georg Uecker: (lacht) Aber wer wäre denn dann Dame Edna? Hella ist eine Frau, also müsste ich rauskommen und „Hallo Beutelratten“ rufen…. Ob das in Deutschland ein Hit wäre? Mit Hella mache ich aber immer wieder Projekte, ziemlich problematisch fände ich es aber, eine deutsche Antwort auf irgendein Format sein zu wollen. Das geht meist in die televisionäre Hose. Ich bin lieber die deutsche Antwort auf mich selbst.

Marcel Schenk: Wenn du jetzt auf 31 Jahre mit „Dr. Carsten Flöter“ zurückschaust…

Georg Uecker: Oh Gott, das macht mich so alt. Was kommt jetzt für eine Frage?

Marcel Schenk: …welche Szene kommt dir dann sofort vor dein geistiges Auge?

Georg Uecker: Szenen, die einem selber nahe gegangen sind. Ich denke z.B. an den Tod meiner Kollegin Ute Mora („Berta Griese“), die an Krebs gestorben ist, aber bis zum Schluss sehr professionell vor der Kamera war und sich nichts anmerken ließ. Ich war in meiner Rolle ihr Chef, sie meine Sprechstundenhilfe. Meine Aufgabe war dann, ihrem Serienehemann „Hajo Scholz“ (Knut Hinz) zu sagen, dass seine Frau gestorben ist. Und Utes Tod lag wirklich erst wenige Tage zurück. Da vermischte sich Realität und Fiktion und das ging mir in dem Fall sehr nah.

Martin Armknecht und Georg Uecker, © GFF/WDR

Marcel Schenk: Du hast so viele Facetten in deiner Rolle als „Dr. Carsten Flöter“ gezeigt, wirst von vielen aber gerne auf den „ersten schwulen Kuss in einer deutschen Fernsehserie“ reduziert. Ärgert dich so etwas?

Georg Uecker: Ich bin für viele Menschen schwer zu kategorisieren. Ich spiele im Theater, mache Fernsehen, Stand Up Comedy, arbeite als Produzent und Autor… Ich nenne mich darum gerne Unterhaltungsfacharbeiter. Es kam durch die „Schillerstraße“ ein völlig neues Zuschauerklientel hinzu. Das hat inzwischen viel vom „ersten schwulen Kuss“ abgelenkt. Der große Aufschrei, den diese Szene und allgemein ein Schwuler im deutschen Fernsehen damals auslöste, ist inzwischen zum Glück verstummt.

Marcel Schenk: Wärst du mit „Dr. Carsten Flöter“ auch privat befreundet?

Georg Uecker: Ja. Er sieht ungemein gut aus (lacht). Es ist eine schwierige Frage, denn für mich ist es wichtig, eine gewisse Distanz zur Rolle zu haben. Ich muss die Person mental und strukturell begreifen, um sie verkörpern zu können. Ich könnte die Rolle aber nicht spielen, wenn ich „Carsten“ nicht mögen würde.

Marcel Schenk: Seid ihr euch denn ähnlich, deine Rolle und du?

Georg Uecker: Ich würde „Dr. Carsten Flöter“ gerne ein wenig von meiner Lebensfreude wünschen, im Gegenzug hätte ich aber auch gerne etwas von seiner Strukturiertheit, seiner Klarheit. Wir würden uns gut ergänzen. Wir wären beide konfliktfähig, könnten aber auch Spaß miteinander haben.

Marcel Schenk: Wie lernst du deine Texte?

Georg Uecker: Ich lerne einen Text nicht stumpf auswendig, sondern versuche zu begreifen, warum „Carsten“ was sagt. Ich bekomme die Drehbücher, lese diese dann eigentlich fast so wie ein Zuschauer später die Folgen sieht. Dann lege ich die Bücher wieder weg, suche mir später meine eigenen Szenen heraus und lese diese noch einige Male. Dann denke ich mich in die Szene hinein und danach ist der Text auch schon fast drin. Kurz vor dem Dreh nehme ich die Texte dann nochmals zur Hand. Ich lese sie und denke darüber nach. Man lernt den Text am besten, wenn man ihn organisch nachempfindet. Danach fehlt nur noch der Feinschliff.

Georg Uecker, Oliver Moser, Claus Vincon (© GFF/WDR)

 

Marcel Schenk: Ich kann kein Interview mit dir führen, ohne über Musik zu sprechen. Du bist für mich einer der besten Kenner der Musikszene, speziell auch bezogen auf den ESC. Bei dieser Veranstaltung waren die Deutschen zuletzt nicht mehr allzu erfolgreich.

Georg Uecker: Wobei man schon sagen muss: Deutschland war vor drei Jahren auf Platz 27, letztes Jahr 26ter und dieses Jahr auf Platz 25.

Marcel Schenk: Die Tendenz geht also eindeutig nach oben.

Georg Uecker: Ich hatte Mathe im Abitur und stelle fest: in 24 Jahren werden wir nochmal gewinnen.

Marcel Schenk: In 24 Jahren…. Lena könnte dann nochmal…

Georg Uecker: Absolut!

Marcel Schenk: Welcher ESC-Beitrag der letzten Jahre oder Jahrzehnte ist dein Favorit?

Georg Uecker: Das ist eine Hitparaden-Frage, das ändert sich bei mir täglich. Viele kennen die Lieder gar nicht, sie waren zum Teil auch vor meiner Zeit. Aber wenn ich jetzt einen Titel benennen muss, dann aus dem Jahr 1969. Damals gab es tatsächlich vier Siegertitel, alle mit derselben Punktzahl. Eines dieser vier Lieder gehört zu meinen Allzeit-Favoriten: Un jour, un enfant von Frida Boccara ist ein wunderschönes französisches Chanson mit einem tollen Text. Von den aktuelleren Beiträgen fällt mir aus dem Jahr 2012 Loreen mit Euphoria ein. Wie ist es bei dir?

Marcel Schenk: Ich finde Wencke Myhre klasse. Ihr Auftritt im gelben Kleid bei Ein Hoch der Liebe ist mir unvergesslich.

Georg Uecker: Das war aber auch vor deiner Zeit, 1968 Platz 6 für Deutschland. Aber es freut mich, denn ich bin halber Norweger und Wencke hat das toll gemacht damals.

Marcel Schenk: Vor einigen Jahren warst du für die ARD bei den Vorentscheidungen des ESC tätig, wie schaust du dir heute dieses musikalische TV-Ereignis an? Ganz traditionell mit Käse- und Mettigel vor dem Fernseher?

Georg Uecker: Das ist ein Bild, das ich auch damals gerne mitkreiert habe. Ich habe meist in den Tagen vor dem ESC kaum Freizeit, da mich viele als Orakel befragen möchten/müssen/wollen, und ich meine Tipps abgebe sowie Artikel und Kolumnen schreibe. Der ESC-Abend selbst bleibt aber tatsächlich frei und wird mit Freunden entsprechend gemütlich zelebriert.

Marcel Schenk: Mit wem würde denn „Dr. Carsten Flöter“ den ESC vor dem Fernseher anschauen?

Georg Uecker: Die Folgen spielen ja immer donnerstags in der „Lindenstraße“, da würde es schwierig für „Carsten“ mit dem ESC…

Marcel Schenk: Aber er könnte donnerstags die Einladungen zum Fernsehabend verschicken…

Georg Uecker: (lacht) stimmt, und er könnte schon anfangen das Essen vorzubereiten. Er würde sicherlich „Sunny“, „Tanja“ und „Lotti“ einladen. Aber da der ESC ein sehr junges Publikum hat, würde er auch „Lea“ und „Timo“ einladen. „Murat“ und „Lisa“ auch, ich würde alle einladen. Ich fände es schön, wenn „Carsten“ das ganze Haus in seine kleine Wohnung einlädt.

Marcel Schenk: Ein schöner Gedanke. Nicht nur Silvester-Tanz auf der Lindenstraße, sondern auch ESC-Party in „Carstens“ Wohnung. Ich danke dir für das Gespräch!

Georg Uecker: Sehr gerne.

Georg Uecker

Rolle: „Dr. Carsten Flöter“
In der „Lindenstraße“ seit: Folge 1 (1985)

Georg Uecker wurde am 06.November 1962 in München geboren. Er nahm in Köln privaten Schauspielunterricht und studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Romanistik sowie Skandivanistik an der Universität zu Köln. Georg Uecker arbeitet als Journalist und war Gastautor und -kolumnist bei verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen. Darüber hinaus ist er als Redakteur bei der Entwicklung neuer Sendeformate, sowie als Autor diverser TV-Beiträge und -Sendungen aktiv. 2010 erhielt er den ReD Award für sein herausragendes Engagement gegen HIV und AIDS. Georg Uecker lebt in Köln.

 
Folge uns bei Facebook Folge uns auf Twitter