Moderator Marcel Schenk trifft regelmäßig Schauspieler/innen vom Ensemble der ARD-Kultserie „Lindenstraße“ zum Gespräch. Und hier kann alles nachgelesen werden.
Folge 8: Irene Fischer als „Anna Ziegler” & Joachim H. Luger als „Hans Beimer”
Marcel Schenk: Wie schön, dass wir dieses Interview zu dritt führen können. „Anna und Hans” gehören einfach zusammen. Hallo Irene, hallo Joachim.
Irene Fischer: Hallo Marcel, gerne.
Joachim H. Luger: Ja klar, wir freuen uns.
Marcel Schenk: Mehr als 25 Jahre Fernseh-Ehe. Ihr habt die silberne Hochzeit in der „ Lindenstraße” gefeiert, wie fühlt sich das für euch beide an?
Joachim H. Luger: Wunderbar! Ich hätte nicht auf „Anna” verzichten mögen.
Irene Fischer: „Hans Beimer” ist für „Anna” die Liebe ihres Lebens. Trotz aller Krisen.
Joachim H. Luger: Danke, aber inzwischen wird „Hans” ja etwas tatterig…
Irene Fischer: Das macht nichts, wir alle werden älter. Und ein Eheversprechen gilt für die guten und auch die schlechteren Zeiten. Für mich sind „Anna und Hans” nach wie vor ein überzeugendes Paar!
Joachim H. Luger: Ich kann das nur bestätigen! Für mich könnte es keine bessere Drehpartnerin geben als Irene.
Marcel Schenk: Ich habe in der Vorbereitung auf dieses Gespräch in einem alten Buch* zur Serie geblättert. Es erschien anlässlich der 200sten Episode der „Lindenstraße”. Darin schreibt der Autor: „Vieles wäre einfacher, wenn „Anna” einfach wegziehen würde”.
Joachim H. Luger: Diesen Satz würde „Hans” niemals sagen. Ein Autor mag sowas vielleicht äußern…
Irene Fischer: Naja, damals, als wir noch Liebende waren, und „Hans” mit „Helga” verheiratet, da hätte ein Verschwinden von „Anna” vielen Charakteren sicherlich einige Turbulenzen ersparen können…
Joachim H. Luger: Ich war in meiner Rolle doch „Anna” sofort zutiefst verfallen. Ein Abschied wäre keine Option gewesen, niemals….
Irene Fischer: Ist er nicht zauberhaft? Danke, Achim. Als “Anna” bin ich auch sehr, sehr glücklich mit meinem “Hans”.
Marcel Schenk: Passend dazu habe ich in besagtem Buch auch ein schönes Drehbuch-Zitat von „Helga” gefunden. Sie sagt hier, voller Eifersucht, zu „Hans”: „Mir ist sowieso aufgefallen, dass du dich in letzter Zeit verändert hast. Du hast dir z.B. ohne mich zu fragen neue Unterwäsche gekauft – und zwar farbige!” Wie sieht es jetzt nach über 25 Jahren Fernseh-Ehe mit „Anna” aus? Ist die Wäsche noch immer bunt?
Joachim H. Luger: (lacht) Es ist alles bunt geblieben…
Irene Fischer: … und inzwischen sind Szenen in Unterwäsche meist einer tiefen Innigkeit und Vertrautheit gewichen. Wir haben in unseren Rollen ein gesundes Liebesleben. Und Bademäntel über der bunten Wäsche…
Marcel Schenk: Im Internet machen sich einige Fans große Sorgen um deinen Gesundheitszustand, Joachim. Dies wird an der so grandios gespielten Parkinson-Erkrankung von „Hans Beimer” liegen. Du spielst sie so nah an der Realität, dass sich hier manche Zuschauer die Frage stellen: „Hat er nicht vielleicht doch etwas?“
Irene Fischer: Dazu muss ich direkt etwas sagen, denn das kann man als Außenstehende/r besser beantworten. Achim spielt so wunderbar, ich bekomme selbst eine Gänsehaut! Es ist ein wunderbares Kompliment für einen Schauspieler, wenn das Publikum mit der Rolle leidet und Mitgefühl zeigt. Achim ist topfit, er wandert und segelt, fährt Motorrad und ist einfach die sportlichste „Socke“ die ich kenne. Ich ziehe meinen Hut vor seiner Darstellung des an Parkinson erkrankten „Hans”.
Joachim H. Luger: Danke, liebe Irene! Das hast du schön gesagt, und ich fühle mich privat wirklich prächtig!
Marcel Schenk: Ist es aber nicht besonders schwer, als Schauspieler speziell die Parkinson-Krankheit darzustellen? Gerade die Bewegungen, die Gesten, die Sprache – all’ das zeichnet einen Schauspieler aus und unterstreicht seine Leistung. Im Falle von „Hans Beimer” sind diese Darstellungsmöglichkeiten der Emotionen jetzt sehr eingeschränkt. Es ist die Reduzierung auf ein Minimum.
Joachim H. Luger: Das ist in der Tat so. Ein Schauspieler lernt, sich über Mimik, Gestik und Sprache auszudrücken. Dies sind alles Dinge, die „Hans Beimer“ jetzt nur noch eingeschränkt zur Verfügung stehen. Parkinson ist eine Erkrankung, die in Schüben verläuft und sich über eine relativ lange Zeit auf einem bestimmten Level halten kann. Hier befindet sich „Hans” nun momentan. Ich werde aber tatsächlich auf der Straße von Menschen angesprochen, die wissen möchten, wie es mir als Privatperson geht.
Marcel Schenk: Wie hast du dich auf die Darstellung der Krankengeschichte vorbereitet?
Joachim H. Luger: Es ist nicht immer leicht, diesen Krankheitsverlauf darzustellen, aber das gehört zu den Herausforderungen meines Berufes als Schauspieler dazu. Ich habe mich sehr intensiv mit der Erkrankung von „Hans” auseinandergesetzt. Zum einen natürlich über Fachliteratur, zum anderen bin ich in die neurologische Klinik im Universitätsklinikum Köln gegangen und wurde von einem Professor, dessen Vorlesungen ich auch besuchen konnte, beraten. Selbstverständlich ist der Themenkomplex Morbus Parkinson auch im Vorfeld der Drehbuchentwicklung vom „Lindenstraße“-Autoren- und Dramaturgie-Team sehr sorgfältig in enger Zusammenarbeit mit auf Parkinson spezialisierten Neurologen recherchiert worden.
Marcel Schenk: Bei euch beiden liegen die Serienrollen sehr weit weg vom „privaten Ich”. Speziell auch bei dir, Irene. Ich glaube, niemand könnte so viel Leid und Schicksalsschläge verkraften, wie „Anna” immer wieder ertragen muss. Ist die Darstellung einer Rolle, die ganz weit weg von einem selbst ist, das Salz in der Suppe der Schauspielerei?
Irene Fischer: Ja. Alles andere wäre für mich auch langweilig. Ich bin froh, dass sich „Anna” anders kleidet ist als ich. Und ich bin froh, dass „Anna” einen gänzlich anderen Charakter hat. Der Reiz, eine Rolle mit Leben zu füllen, wäre für mich nicht gegeben, wenn sie zu sehr mein eigenes Leben spiegeln würde.
Joachim H. Luger: Es ist genau der Spaß an der Schauspielerei, dass man in so völlig „fremde” Rollen hineinschlüpfen kann.
Marcel Schenk: Irene, als Teil des Autorenteams hattest du lange Zeit auch das Zepter in der Hand und konntest mitbestimmen, welches Schicksal den einzelnen Rollen bevorsteht. Hat es dir da nicht manchmal in den Fingern gejuckt, zum Beispiel ein Liebescomeback von „Hans und Helga Beimer” in die Drehbücher zu schreiben?
Irene Fischer: „Only over my dead cold body”. Also nur über meine Leiche! Ich wollte „Hans” bei „Anna” behalten.
Joachim H. Luger: Dem kann ich inhaltlich nur voll zustimmen!
Irene Fischer: Ich weiß natürlich nicht, welche Pläne das jetzige Autorenteam mit unseren Rollen hat. Inzwischen geht es mir ja wieder so, wie allen anderen SchauspielerInnen des Ensembles: Ich habe keine Ahnung, wie die Zukunft meiner Rolle aussieht. Ich bin seit zwei Jahren nicht mehr Teil des Autorenteams und lasse mich nun überraschen, wenn die neuen Drehbücher verteilt werden, was „Anna” demnächst bevorsteht.
Marcel Schenk: Wie ist euer Kontakt zu Marie-Luise Marjan? In der Rolle als „Helga“ macht sie es „Anna und Hans“ ja nicht immer leicht…
Irene Fischer: Man muss Marie-Luise einfach mögen. Wir haben schon vor der „Lindenstraße” gemeinsam für eine Serie vor der Kamera gestanden und verstehen uns sehr gut.
Joachim H. Luger: Ich kenne Marie-Luise auch schon sehr lange, von meinen Anfängen am Bochumer Schauspielhaus. Wir haben seit vielen Jahrzehnten ein wunderbares Miteinander. Und als „Helga” hatte sie mit „Erich Schiller” ja auch einen wunderbaren Rollenpartner über Jahre hinweg.
Marcel Schenk: „Anna und Hans” sind für viele das „Traumpaar mit Alltagshindernissen”. Ihr führt die Hitliste der „Lindenstraße”-Paare unangefochten an, es gibt kein Paar mit mehr gemeinsamen Ehejahren…
Irene Fischer: „Gabi und Andy Zenker”?
Joachim H. Luger: Lass‘ mich nachdenken, „Gabi und Andy” sind auch schon sehr lange zusammen… Aber Jo Bolling kam erst in die Serie, nachdem „Benno” gestorben war.
Irene Fischer: Stimmt. Und da waren „Anna und Hans” schon ein Liebespaar. Wir sind wirklich die dienstälteste „Lindenstraße”-Ehe/-Beziehung/-Partnerschaft.
Marcel Schenk: Zu eurer langen Fernsehpartnerschaft gehören auch viele Kinder…
Joachim H. Luger: „Hans Beimer” ist der Mann mit den meisten Kindern in der „Lindenstraße”…
Marcel Schenk: Es sind aber inzwischen nicht mehr viele dieser Rollen in der Serie aktiv. Bleibt ihr mit euren Filmkindern auch über das Drehende hinaus in Kontakt?
Joachim H. Luger: Es ist schwierig. Man versucht es anfangs, aber im Alltag klappt das dann nicht immer.
Irene Fischer: Ich habe weiterhin Kontakt mit Julia Stark („Sarah Ziegler”).
Joachim H. Luger: Julia ist Pädagogin, und Johannes Scheit („Tiger Tom“) hat Mechatroniker gelernt. Es ist auch für uns Filmeltern schön zu sehen, dass die „Kinder” ihren eigenen Weg gehen.
Marcel Schenk: In den ersten Jahren gab es viele ZuschauerInnen, die auf „Anna” als „Ehebrecherin“ nicht gut zu sprechen waren. Ab wann ist dieses Empfinden in die jetzige Zuneigung für „Anna” gewechselt? Gab es da einen bestimmten Fixpunkt?
Irene Fischer: Allerspätestens mit der Geburt von Filmsohn „Martin Ziegler”, der mit Down Syndrom auf die Welt kam. Als „Mürfel”, wie wir ihn liebevoll nennen, in die Familie Beimer-Ziegler kam, bemerkten viele ZuschauerInnen, dass „Anna” doch nicht so schlecht und böse ist, wie sie sie anfänglich eingeschätzt hatten.
Joachim H. Luger: Jetzt bist du endlich akzeptiert als „Frau Beimer”…
Irene Fischer: Es gibt manchmal noch Menschen, die zu mir sagen „Sie sind aber nicht die richtige Frau Beimer”.
Joachim H. Luger: Nicht erst seit der silbernen Hochzeit kann es gar keine bessere „Frau Beimer” für mich geben…
Marcel Schenk: Wurde „Hans” von den ZuschauerInnen auch für die Affäre zur Rechenschaft gezogen damals? Oder ging der ganze Frust nur gegen „Anna”?
Joachim H. Luger: Die größten Kübel mit Mist wurden leider Irene über den Kopf geschüttet. Den Männern wird offensichtlich eher verziehen.
Irene Fischer: In der Außenwirkung hat „Anna” damals eine intakte „Familie Beimer” zerstört. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass die meisten ZuschauerInnen damals nicht: „Weiter so, Anna!” gerufen haben.
Marcel Schenk: Welche eurer unzähligen Geschichten hat bisher am meisten Spaß gemacht beim Dreh?
Joachim H. Luger: Ich denke immer noch sehr gerne an unseren ersten Kuss bei Vollmond im Hauseingang zurück. Als mein Filmsohn „Benny” pfeifend mit dem Fahrrad vorbeifuhr (und seinen Filmvater nicht hinter dem Kuss vermutete). Oder unser erster Silvestertanz auf der Lindenstraße…
Irene Fischer: Die Kindergeburten waren alle sehr intensiv und im Rückblick immer wieder schön. Sehr im Gedächtnis blieb mir auch die Zeit der „Wohnsäcke”. Aber nicht unbedingt positiv. Das war schon sehr schräg und hat den Weg zum Kult knapp verpasst…
Joachim H. Luger: Ich musste in meiner Zeit als „Hans” leider ja auch das eine oder andere Mal auf „Anna” verzichten, weil sie mal wieder im Gefängnis war, vom Ex gefangen gehalten wurde oder auswärts arbeitete. Umso mehr genieße ich jeden gemeinsamen Dreh mit Irene.
Irene Fischer: Diese Auszeiten beruhen darauf, dass ich auch privat Kinder bekommen habe und mehr Zeit zuhause verbrachte. Aber ich freue mich auch immer, mit Achim drehen zu können. Unsere gemeinsamen Szenen sind einfach wunderbar.
Marcel Schenk: Ich wünsche euch noch viele weitere wunderschöne gemeinsame Szenen und bedanke mich für das Gespräch!
Irene Fischer: Wir danken dir, Marcel.
Joachim H. Luger: Danke!
* Martin Keß (Hrsg. Monika Paetow im Auftrag des WDR)
Lindenstraße – Das Buch
Geschichten – Bilder – Hintergründe
Zeitgeist Verlag, Düsseldorf 1989
Rolle: „Anna Ziegler”
In der „Lindenstraße“ seit: Folge 61 (1986)
Irene Fischer wurde am 24. Dezember 1959 in Frankfurt am Main geboren. Nach dem Abitur 1979 absolvierte sie bis 1983 eine Schauspielausbildung in München und Prag. Irene Fischer wirkte in zahlreichen Theater-, Film- und Fernsehproduktionen mit, u.a. am Residenztheater München, wo sie 1981/1982 auch unter der Regie von Ingmar Bergman arbeitete, sowie in Christoph Schlingensiefs Kinofilm „Tunguska“, in welchem sie 1984 die Hauptrolle spielte. Als Stipendiatin der Bertelsmannstiftung begann Irene Fischer in den 1990er Jahren mit dem Drehbuchschreiben. Sie verfasste Drehbücher für Kinofilme, diverse Serien und Fernsehspiele. 1999 erschien ihr Jugendsachbuch „Vorsicht, Dreharbeiten“ im Carl Hanser Verlag. Von 1999 bis 2016 war Irene Fischer auch als Drehbuchautorin für die „Lindenstraße” tätig. Seit 2013 setzt sie sich als Botschafterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes für chronisch kranke und behinderte Menschen ein. Zuvor hatte sie sich bereits jahrelang für Menschen mit Down Syndrom engagiert. 2001 nahm sie gemeinsam mit Hans W. Geißendörfer und Joachim H. Luger den Medienpreis „Bobby“ der Bundesvereinigung Lebenshilfe entgegen. Mit dem „Bobby 2001“ wurden die Verdienste der Fernsehserie „Lindenstraße“ zur Akzeptanz behinderter Menschen gewürdigt. Irene Fischer lebt in der Nähe von Freiburg und ist mit dem Regisseur Dominikus Probst verheiratet. Die beiden haben drei gemeinsame Kinder.
Rolle: „Hans Beimer”
In der „Lindenstraße“ seit: Folge 1 (1985)
Joachim H. Luger wurde am 02. Oktober 1943 in Schömbach (Thüringen) geboren und wuchs in Berlin auf. Nach der mittleren Reife absolvierte er eine Ausbildung zum Chemielaboranten. Von 1966 bis 1969 besuchte Joachim H. Luger eine private Schauspielschule in Stuttgart. Seitdem ist er als Charakterdarsteller auf der Theaterbühne und im TV präsent. Joachim H. Luger hatte Engagements am Grillo Theater Essen, Schauspielhaus Bochum, Prinzregenttheater Bochum (musikalisch-literarische Programme an der Seite von Petra Afonin), Contra-Kreis-Theater Bonn, Theater an der Kö. Düsseldorf, Theater am Dom Köln, Rathaustheater Essen u.v.a.m.. Im Einpersonenstück „Klamms Krieg“ trat Joachim H. Luger auch in Schulen auf. Er war im TV u.a. zu sehen in: „Unser Lehrer Doktor Specht“, „Liebling Kreuzberg“ und im „Tatort“. In der Lokalzeit Ruhr des WDR Fernsehens hatte er darüber hinaus eine eigene Kochsendung „Lecker essen mit Luger“. Hierzu erschien 2007 das gleichnamige Buch. Joachim H. Luger engagiert sich seit Jahren für Menschen mit Down Syndrom. 2001 nahm er gemeinsam mit Hans W. Geißendörfer und Irene Fischer den Medienpreis „Bobby“ der Bundesvereinigung Lebenshilfe entgegen. Mit dem „Bobby 2001“ wurden die Verdienste der Fernsehserie „Lindenstraße“ zur Akzeptanz behinderter Menschen gewürdigt. Seit 2003 war Joachim H. Luger Pate des jährlich in Frankfurt am Main und seit 2005 zusätzlich in Magdeburg stattfindenden Deutschen Down-Sportlerfestivals. Joachim H. Luger ist verheiratet, hat zwei Söhne und lebt in Bochum.
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